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23.05.2011, 11:48
Anfüttern, Punktspiele, Barauszahlung - der Glücksspielprofessor Tilman Becker erklärt, wie die Branche Regeln gegen die Spielsucht umgeht und beklagt die Untätigkeit der Politik. Von Marc Schieferecke
Warum zocken manche Menschen begeistert, andere gar nicht?
Das ist eine schwierige Frage. Warum haben die einen blau als Lieblingsfarbe, die anderen rot? Ich weiß es nicht. Bei pathologischen Spielern ist es so, dass sie einfach nicht mehr Herr über ihr Handeln sind.
Beim Thema Glücksspiel beraten Sie die Politik. Wie bekannt ist, nicht mit dem Ergebnis, das Sie wünschen. Aber immerhin gab es in den vergangenen Wochen wieder eine Diskussion um die Regulierung des Automatenspiels. Freut Sie das?
Mich freut, wenn sich die Vernunft durchsetzt. Die Debatte ist ja noch nicht zu Ende. Am 25. Mai ist eine Anhörung zum Glücksspielstaatsvertrag in Magdeburg. Da werde ich hinfahren und bin dabei, die schriftliche Stellungnahme zu schreiben. Es ist eine politische Entscheidung, wie man den Glücksspielsektor regelt, nur sollte man ihn in sich konsistent regeln. Das heißt, man kann nicht argumentieren, Lotto sei wegen der Spielsucht gefährlich, und gleichzeitig lässt man an jeder Ecke eine Spielhalle zu, obwohl jeder weiß, dass 80 Prozent der pathologischen Spieler als Hauptproblem die Geldspielgeräte haben. Das ist unvernünftig. Ob man alle Formen des Glücksspiels weitgehend unreguliert anbieten lässt oder ob alle Formen nur der Staat anbieten darf, ist eine gesellschaftliche Frage. Wichtig ist, dass es schlüssig ist.
Ist Lotto überhaupt ein Problem?
Es mag in Deutschland etwa 1000 Menschen geben, die mit Lotto ein Problem haben. Beim Automatenspiel sind es deutlich mehr als 100 000. Ein pathologischer Spieler kriegt keinen Kick, wenn er einen Lottoschein ausfüllt. Und wer am Samstag verloren hat, kann erst wieder am nächsten Mittwoch tippen. Bei Spielautomaten geht das im Fünf-Sekunden-Takt. Gefährlich sind die schnellen Spiele.
Wenn Sie nichts dagegen haben, spielen wir auch etwas. Ich lese ein paar Schlagzeilen der letzten Wochen vor. Sie sagen, was Sie sich dabei denken. Die erste: Kampf gegen die Daddelmaschinen - scharfe Auflagen sollen das Problem eindämmen.
Es gibt eine Spielverordnung. Die sieht eine Mindestspieldauer vor, Einsatzbegrenzungen, Gewinn- und Verlustbegrenzungen. Das hört sich alles gut an. In der Praxis haben diese Begrenzungen jedoch weitgehend ihre Bedeutung verloren.
Weil mit Punkten statt mit Geld gespielt wird?
Richtig. Das Geldspielgerät tauscht das Geld in Geldäquivalente um, in Punkte. In Punkten kann man schneller spielen, mehr gewinnen und natürlich auch mehr verlieren. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige, die Glücksspielautomaten überprüfen sollen, haben kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht. In dem weisen sie darauf hin, dass sie wegen des Punktespiels die Protokoll- und Abrechnungsdaten nicht mehr überprüfen können.
Damit verliert ihr Beruf seinen Sinn.
Ja, klar. Wichtig ist zu kommunizieren, dass die Vorgaben der Spielverordnung de facto nicht mehr eingehalten werden.
Die nächste Schlagzeile: Bundesregierung will massiv ins Gewinnspiel eingreifen. Nämlich was Mindestspieldauer, Gewinn- und Verlusthöhen betrifft.
Dabei geht es zum Beispiel um eine Verringerung der maximal zulässigen Verluste je Stunde von 80 Euro auf 60. So soll der Spieler vor hohen Verlusten geschützt werden. Da aber das Spiel in der Punktewelt stattfindet, läuft dieser Schutz ins Leere. Das führt zu verrückten Geschichten. Ein Spieler ruft in seiner Spielhalle an und sagt, füttere mal, ich komm in drei Stunden. Vorglühen nennt man das. Dann steckt der Besitzer der Spielhalle so viel Geld in den Automaten, wie es geht. Das sind laut Spielverordnung 144 Euro pro Stunde. Wenn der Spieler dann kommt, kann er richtig zocken, weil das Gerät nach drei Stunden mehrere Hundert Euro gespeichert hat. Er kann mit deutlich höheren Einsätzen spielen als die 20 Cent, die die Spielverordnung vorsieht, und deutlich mehr gewinnen oder verlieren. Wenn er 1000 Euro gewinnt, müsste er zwei Stunden warten, weil der Automat maximal 500 Euro pro Stunde ausschütten darf. Also zahlt der Spielhallenbesitzer die 1000 Euro aus. Das kann nicht Sinn dieser Gesetzgebung sein.
Wenn Spielhallenbetreiber die Regeln hintergehen, helfen auch keine schärferen.
Das Problem ist die Umwandlung der Einsätze in Punkte. Damit hat die Automatenindustrie einen Weg gefunden, die Spielverordnung zu umgehen. Eigentlich müsste selbstverständlich sein, dass für das Punktespiel und das Geldspiel die gleichen Vorgaben gelten. Dann käme es nicht zu solchen Auswüchsen. Aber das Bundeswirtschaftsministerium und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, die die Geräte zulässt, tolerieren die Umgehung.
Was müsste tatsächlich passieren gegen Spielsucht?
Im Prinzip gibt es zwei Entwicklungspfade. Der Fachbeirat, der die Politik in Fragen der Spielsucht berät, schlägt vor, dass die Automaten wieder zu Unterhaltungsgeräten werden, wo man ein bisschen Geld gewinnen oder verlieren, aber nicht Haus und Hof verspielen kann. Stattdessen hat zumindest der bisherige Bundeswirtschaftsminister Brüderle gesagt, er setze auf freiwillige Selbstkontrolle der Automatenbranche. Deshalb wird eine solche Regulierung politisch wohl nicht durchsetzbar sein. Dann gibt es den Weg, den die Drogenbeauftragte vorgeschlagen hat: Dass man Automaten in Gaststätten untersagt und Spielhallen stärker reguliert. Ein Spieler kann sich für das Automatenspiel in der Spielbank sperren lassen, aber nicht in der Spielhalle. Das ist, wie wenn ein Alkoholiker sich für Wodka sperren lassen kann, aber nicht für Whisky. Ohne Einbeziehung der Spielhallen ist das freiwillige Sperrsystem weitgehend unwirksam.
Auch in Kneipen kann sich niemand sperren lassen.
Eben deshalb will die Drogenbeauftragte die Geräte in Gaststätten ganz untersagen. Wir haben mehr als 100 pathologische Spieler befragt, die sich in Therapie begeben haben. 50 Prozent der 73 Spieler, die sich an ihr erstes Glücksspielerlebnis erinnern konnten, hatten es an Geldspielgeräten in Kneipen.
Auch in Kneipen darf niemand unter 18 an Automaten spielen.
Ja, aber gucken Sie, wo die Geräte hängen. Da kontrolliert keiner so genau.
Sie sagen oft, dass Regelungen absurd sind. Haben Sie überhaupt noch Lust, die Politik zu beraten?
Mich ärgert es, wenn Regulierungen in sich widersprüchlich sind und nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Es ist die Aufgabe unserer Forschungsstelle, auf diese Widersprüche aufmerksam zu machen und wissenschaftlich zu argumentieren.
Das klingt mehr so, als fühlten Sie sich genötigt als nach Begeisterung.
Ich mache das schon begeistert, weil ich es als Wissenschaftler für wichtig halte. Die Gesellschaft bezahlt mich ja auch dafür, solche Funktionen wahrzunehmen.
Das bisherige Ergebnis haben Sie angesprochen. Brüderle hat ins Gespräch gebracht, dass die Branche sich zum Spielerschutz verpflichtet. Glauben Sie, dass das Sinn hat?
Nein.
Noch eine Schlagzeile: Sause auf Sylt, ein Text darüber, wie die Glücksspielbranche Politiker hofiert. Hat das Einfluss?
Da müssten Sie die andere Seite fragen.
Die sagt Nein. Gauselmann, der Marktführer der Automatenbranche, hat jahrelang organisiert, dass seine Mitarbeiter systematisch an alle großen Parteien spenden. Hat das Einfluss?
Wenn Sie mir vorhin eine Flasche Wein überreicht hätten, hätte ich mich entweder gefreut oder gedacht: Was soll das? Ich hätte in jedem Fall ein anderes Verhältnis zu Ihnen als jetzt. Entweder man freut sich als Partei, dass man das Geld kriegt, oder man lehnt ab.
Warum zocken manche Menschen begeistert, andere gar nicht?
Das ist eine schwierige Frage. Warum haben die einen blau als Lieblingsfarbe, die anderen rot? Ich weiß es nicht. Bei pathologischen Spielern ist es so, dass sie einfach nicht mehr Herr über ihr Handeln sind.
Beim Thema Glücksspiel beraten Sie die Politik. Wie bekannt ist, nicht mit dem Ergebnis, das Sie wünschen. Aber immerhin gab es in den vergangenen Wochen wieder eine Diskussion um die Regulierung des Automatenspiels. Freut Sie das?
Mich freut, wenn sich die Vernunft durchsetzt. Die Debatte ist ja noch nicht zu Ende. Am 25. Mai ist eine Anhörung zum Glücksspielstaatsvertrag in Magdeburg. Da werde ich hinfahren und bin dabei, die schriftliche Stellungnahme zu schreiben. Es ist eine politische Entscheidung, wie man den Glücksspielsektor regelt, nur sollte man ihn in sich konsistent regeln. Das heißt, man kann nicht argumentieren, Lotto sei wegen der Spielsucht gefährlich, und gleichzeitig lässt man an jeder Ecke eine Spielhalle zu, obwohl jeder weiß, dass 80 Prozent der pathologischen Spieler als Hauptproblem die Geldspielgeräte haben. Das ist unvernünftig. Ob man alle Formen des Glücksspiels weitgehend unreguliert anbieten lässt oder ob alle Formen nur der Staat anbieten darf, ist eine gesellschaftliche Frage. Wichtig ist, dass es schlüssig ist.
Ist Lotto überhaupt ein Problem?
Es mag in Deutschland etwa 1000 Menschen geben, die mit Lotto ein Problem haben. Beim Automatenspiel sind es deutlich mehr als 100 000. Ein pathologischer Spieler kriegt keinen Kick, wenn er einen Lottoschein ausfüllt. Und wer am Samstag verloren hat, kann erst wieder am nächsten Mittwoch tippen. Bei Spielautomaten geht das im Fünf-Sekunden-Takt. Gefährlich sind die schnellen Spiele.
Wenn Sie nichts dagegen haben, spielen wir auch etwas. Ich lese ein paar Schlagzeilen der letzten Wochen vor. Sie sagen, was Sie sich dabei denken. Die erste: Kampf gegen die Daddelmaschinen - scharfe Auflagen sollen das Problem eindämmen.
Es gibt eine Spielverordnung. Die sieht eine Mindestspieldauer vor, Einsatzbegrenzungen, Gewinn- und Verlustbegrenzungen. Das hört sich alles gut an. In der Praxis haben diese Begrenzungen jedoch weitgehend ihre Bedeutung verloren.
Weil mit Punkten statt mit Geld gespielt wird?
Richtig. Das Geldspielgerät tauscht das Geld in Geldäquivalente um, in Punkte. In Punkten kann man schneller spielen, mehr gewinnen und natürlich auch mehr verlieren. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige, die Glücksspielautomaten überprüfen sollen, haben kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht. In dem weisen sie darauf hin, dass sie wegen des Punktespiels die Protokoll- und Abrechnungsdaten nicht mehr überprüfen können.
Damit verliert ihr Beruf seinen Sinn.
Ja, klar. Wichtig ist zu kommunizieren, dass die Vorgaben der Spielverordnung de facto nicht mehr eingehalten werden.
Die nächste Schlagzeile: Bundesregierung will massiv ins Gewinnspiel eingreifen. Nämlich was Mindestspieldauer, Gewinn- und Verlusthöhen betrifft.
Dabei geht es zum Beispiel um eine Verringerung der maximal zulässigen Verluste je Stunde von 80 Euro auf 60. So soll der Spieler vor hohen Verlusten geschützt werden. Da aber das Spiel in der Punktewelt stattfindet, läuft dieser Schutz ins Leere. Das führt zu verrückten Geschichten. Ein Spieler ruft in seiner Spielhalle an und sagt, füttere mal, ich komm in drei Stunden. Vorglühen nennt man das. Dann steckt der Besitzer der Spielhalle so viel Geld in den Automaten, wie es geht. Das sind laut Spielverordnung 144 Euro pro Stunde. Wenn der Spieler dann kommt, kann er richtig zocken, weil das Gerät nach drei Stunden mehrere Hundert Euro gespeichert hat. Er kann mit deutlich höheren Einsätzen spielen als die 20 Cent, die die Spielverordnung vorsieht, und deutlich mehr gewinnen oder verlieren. Wenn er 1000 Euro gewinnt, müsste er zwei Stunden warten, weil der Automat maximal 500 Euro pro Stunde ausschütten darf. Also zahlt der Spielhallenbesitzer die 1000 Euro aus. Das kann nicht Sinn dieser Gesetzgebung sein.
Wenn Spielhallenbetreiber die Regeln hintergehen, helfen auch keine schärferen.
Das Problem ist die Umwandlung der Einsätze in Punkte. Damit hat die Automatenindustrie einen Weg gefunden, die Spielverordnung zu umgehen. Eigentlich müsste selbstverständlich sein, dass für das Punktespiel und das Geldspiel die gleichen Vorgaben gelten. Dann käme es nicht zu solchen Auswüchsen. Aber das Bundeswirtschaftsministerium und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, die die Geräte zulässt, tolerieren die Umgehung.
Was müsste tatsächlich passieren gegen Spielsucht?
Im Prinzip gibt es zwei Entwicklungspfade. Der Fachbeirat, der die Politik in Fragen der Spielsucht berät, schlägt vor, dass die Automaten wieder zu Unterhaltungsgeräten werden, wo man ein bisschen Geld gewinnen oder verlieren, aber nicht Haus und Hof verspielen kann. Stattdessen hat zumindest der bisherige Bundeswirtschaftsminister Brüderle gesagt, er setze auf freiwillige Selbstkontrolle der Automatenbranche. Deshalb wird eine solche Regulierung politisch wohl nicht durchsetzbar sein. Dann gibt es den Weg, den die Drogenbeauftragte vorgeschlagen hat: Dass man Automaten in Gaststätten untersagt und Spielhallen stärker reguliert. Ein Spieler kann sich für das Automatenspiel in der Spielbank sperren lassen, aber nicht in der Spielhalle. Das ist, wie wenn ein Alkoholiker sich für Wodka sperren lassen kann, aber nicht für Whisky. Ohne Einbeziehung der Spielhallen ist das freiwillige Sperrsystem weitgehend unwirksam.
Auch in Kneipen kann sich niemand sperren lassen.
Eben deshalb will die Drogenbeauftragte die Geräte in Gaststätten ganz untersagen. Wir haben mehr als 100 pathologische Spieler befragt, die sich in Therapie begeben haben. 50 Prozent der 73 Spieler, die sich an ihr erstes Glücksspielerlebnis erinnern konnten, hatten es an Geldspielgeräten in Kneipen.
Auch in Kneipen darf niemand unter 18 an Automaten spielen.
Ja, aber gucken Sie, wo die Geräte hängen. Da kontrolliert keiner so genau.
Sie sagen oft, dass Regelungen absurd sind. Haben Sie überhaupt noch Lust, die Politik zu beraten?
Mich ärgert es, wenn Regulierungen in sich widersprüchlich sind und nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Es ist die Aufgabe unserer Forschungsstelle, auf diese Widersprüche aufmerksam zu machen und wissenschaftlich zu argumentieren.
Das klingt mehr so, als fühlten Sie sich genötigt als nach Begeisterung.
Ich mache das schon begeistert, weil ich es als Wissenschaftler für wichtig halte. Die Gesellschaft bezahlt mich ja auch dafür, solche Funktionen wahrzunehmen.
Das bisherige Ergebnis haben Sie angesprochen. Brüderle hat ins Gespräch gebracht, dass die Branche sich zum Spielerschutz verpflichtet. Glauben Sie, dass das Sinn hat?
Nein.
Noch eine Schlagzeile: Sause auf Sylt, ein Text darüber, wie die Glücksspielbranche Politiker hofiert. Hat das Einfluss?
Da müssten Sie die andere Seite fragen.
Die sagt Nein. Gauselmann, der Marktführer der Automatenbranche, hat jahrelang organisiert, dass seine Mitarbeiter systematisch an alle großen Parteien spenden. Hat das Einfluss?
Wenn Sie mir vorhin eine Flasche Wein überreicht hätten, hätte ich mich entweder gefreut oder gedacht: Was soll das? Ich hätte in jedem Fall ein anderes Verhältnis zu Ihnen als jetzt. Entweder man freut sich als Partei, dass man das Geld kriegt, oder man lehnt ab.