spielo
06.05.2009, 01:18
Glücksspiel: Innerhalb nur weniger Tage erfasst Liberalisierungswelle nach Frankreich auch Dänemark, die Schweiz und erneut Italien - macht eine aktuelle EuGH-Entscheidung den Weg für Deutschland frei?
Ein Kommentar von RA Dr. Wulf Hambach und Dipl.-Jur. Tobias Kruis, LL.M., Hambach & Hambach Rechtsanwälte
Der führende globale Informationsservice GamblingCompliance.com titelte innerhalb nur weniger Tage:
Dänemark reißt Glücksspielmonopol nieder / Denmark To Dismantle Gambling Monopoly (22. April 2009)
Die Schweiz bereitet Online-Casino Reform vor / Switzerland Prepares Online Casino Reforms (24. April 2009)
Erdbeben löst Reform Lawine (Anmerkung: auf Glücksspielmarkt) in Italien aus / Earthquake Brings Avalanche Of Reforms In Italy (24 Apr. 2009)
Relativ wenig beachtet, dafür jedoch von erheblicher Tragweite für den gesamten deutschen Glücksspielmarkt, könnte die sog. Hartlauer-Entscheidung des EuGH sein (Rechtssache C-169/07 VOM 10. März 2009, Hartlauer Handelsgesellschaft mbH ./. Wiener Landesregierung u.A.). In dieser Entscheidung wendet sich der EuGH in gleicher Besetzung wie bei der mit Spannung und jeden Tag erwarteten Liga Portugisa-Entscheidung gegen seinen Generalanwalt Yves Bot. Der EuGH rügt Österreich u. a. unter Berufung auf die sog. Placanica-Entscheidung des EuGH wegen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht und insbesondere wegen ungerechtfertigter Beschränkung des (zahnmedizinischen) EU Binnenmarktes. Doch was hat diese Entscheidung zu Zahnarztpraxen in Österreich mit Deutschlands Rechtfertigung des Glücksspielmonopols zu tun? Auf den ersten Blick so wenig, wie der Kalifornien-Rückkehrer Klinsmann künftig mit dem FC Bayern zu tun haben wird. Der zweite Blick offenbart eine gemeinschaftsrechtliche Sollbruchstelle in der Rechtfertigungskette des Glücksspielstaatsvertrags.
Im Detail:
Die bisherige österreichische Regelung macht die Errichtung selbständiger Zahnambulatorien, bei denen Ärzte als Arbeitnehmer tätig sind, von einer vorherigen Genehmigung durch die zuständigen Behörden abhängig. Diese wird nur bei Bedarf erteilt. Dagegen können Gruppenpraxen von selbständigen Ärzten jederzeit ohne Genehmigung und Bedarfsprüfung gegründet werden. Ambulatorien und Gruppenpraxen verfügen dabei nicht nur über eine vergleichbare Ausstattung und Anzahl an Ärzten, sondern bieten in der Regel auch die gleichen medizinischen Leistungen an, so dass Patienten diese normalerweise nicht unterscheiden können. Der EuGH hatte nun die Frage zu beantworten, ob eine solche Genehmigungspflicht in Verbindung mit einer Bedarfsprüfung mit dem Gemeinschaftsrecht, genauer mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. Dabei stellt er fest, dass diese Regelung als Beschränkung grundsätzlich einer Rechtfertigung bedarf. Er prüft im Folgenden ausführlich und mit hoher Prüfungsdichte die Geeignetheit der Regelung zur Verwirklichung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus, sowie der Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit, um diese Geeignetheit dann zu verneinen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Prüfung des seit dem Urteil Gambelli[1] bekannten Kohärenzgebotes. Danach muss die gesetzliche Regelung dem Anliegen gerecht werden, das geltend gemachte Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen. Für die österreichische Regelung fehlt es nach Ansicht des EuGH aufgrund einer fehlenden Genehmigungsregelung für die in Ausstattung, Einrichtung und Leistung vergleichbaren Gruppenpraxen nun gerade an einer solchen kohärenten Ausgestaltung der Regelung. Auch habe der Mitgliedsstaat nichts vorgetragen, was eine solche unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte.
Welche Auswirkungen hat dieses Urteil nun auf die gemeinschaftsrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit eines Glücksspielmonopols?
Zunächst einmal zeigt es, das der EuGH auch in Kompetenzbereichen, die grundsätzlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind, eine strenge Prüfung auch der Geeignetheit vornimmt und den Mitgliedsstaaten gerade keinen breiten Beurteilungsspielraum überlässt. Der EuGH schreibt damit die Entwicklungslinie einer zunehmend strenger werdenden Rechtfertigungsprüfung weiter fort. Darüber hinaus wird erneut bestätigt, dass die Darlegungs- und Untersuchungslast auf Rechtfertigungsebene bei den Mitgliedstaaten liegt, so dass ein mitgliedstaatliches Glücksspielmonopol überhaupt nur gerechtfertigt werden kann, wenn die Erforderlichkeit des ergriffenen Schutzniveaus auf Tatsachen beruht, die durch eine aussagekräftige Studie belegt werden. Entscheidend aber zeigt sich, dass eine kohärente Beschränkung der Grundfreiheiten bereits dann nicht vorliegen kann, wenn vergleichbare Kategorien unterschiedlich behandelt werden. An einer Kohärenz muss es daher umso mehr fehlen, wenn, wie in Deutschland, ein relativ ungefährliches Glücksspielangebot (Lotto) verboten wird, während wesentlich gefährlichere Glücksspielangebote, wie etwa Automatenglücksspiele und Online-Pferdewetten, veranstaltet werden dürfen.
Fazit
Möchte man eine Prognose abgeben, so ist zu erwarten, dass sich diese Auswirkungen spätestens im derzeit anhängigen Vorlageverfahren C-46/08, Carmen Media Group, bemerkbar machen werden, das von der Kanzlei Hambach & Hambach geführt wird. Dort steht die Frage der Kohärenz des deutschen Glücksspielmonopols im Mittelpunkt.[2] Sollte es nicht zuvor zu einem politischen Einlenken des Gesetzgebers kommen, so dürfte das Monopol der nach der Entscheidung Hartlauer zu erwartenden strengen Prüfung des Kohärenzgebots durch den EuGH nicht standhalten. Um auf die eingangs erwähnte Metapher zurückzukommen, würde das Monopol in Deutschland damit das gleiche Schicksal ereilen wie Jürgen Klinsmann: es hätte ausgedient.
[1] Rs. C-243/01, Gambelli u.a., Slg. 2003, I-13031, Rdnr. 67.
[2] Vgl. dazu bereits W. Hambach/C. Hambach, "Gesetzgebungsbilanz – 100 Tage
Glücksspielstaatsvertrag": Finanzieller und rechtlicher Segen oder Waterloo für Bundesländer und Destinäre?, TIME Law News 1/2008, S. 21 (25).
Aus: TIME LAW NEWS 3/2009 (http://www.timelaw.de) der Kanzlei Hambach & Hambach Rechtsanwälte
Ein Kommentar von RA Dr. Wulf Hambach und Dipl.-Jur. Tobias Kruis, LL.M., Hambach & Hambach Rechtsanwälte
Der führende globale Informationsservice GamblingCompliance.com titelte innerhalb nur weniger Tage:
Dänemark reißt Glücksspielmonopol nieder / Denmark To Dismantle Gambling Monopoly (22. April 2009)
Die Schweiz bereitet Online-Casino Reform vor / Switzerland Prepares Online Casino Reforms (24. April 2009)
Erdbeben löst Reform Lawine (Anmerkung: auf Glücksspielmarkt) in Italien aus / Earthquake Brings Avalanche Of Reforms In Italy (24 Apr. 2009)
Relativ wenig beachtet, dafür jedoch von erheblicher Tragweite für den gesamten deutschen Glücksspielmarkt, könnte die sog. Hartlauer-Entscheidung des EuGH sein (Rechtssache C-169/07 VOM 10. März 2009, Hartlauer Handelsgesellschaft mbH ./. Wiener Landesregierung u.A.). In dieser Entscheidung wendet sich der EuGH in gleicher Besetzung wie bei der mit Spannung und jeden Tag erwarteten Liga Portugisa-Entscheidung gegen seinen Generalanwalt Yves Bot. Der EuGH rügt Österreich u. a. unter Berufung auf die sog. Placanica-Entscheidung des EuGH wegen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht und insbesondere wegen ungerechtfertigter Beschränkung des (zahnmedizinischen) EU Binnenmarktes. Doch was hat diese Entscheidung zu Zahnarztpraxen in Österreich mit Deutschlands Rechtfertigung des Glücksspielmonopols zu tun? Auf den ersten Blick so wenig, wie der Kalifornien-Rückkehrer Klinsmann künftig mit dem FC Bayern zu tun haben wird. Der zweite Blick offenbart eine gemeinschaftsrechtliche Sollbruchstelle in der Rechtfertigungskette des Glücksspielstaatsvertrags.
Im Detail:
Die bisherige österreichische Regelung macht die Errichtung selbständiger Zahnambulatorien, bei denen Ärzte als Arbeitnehmer tätig sind, von einer vorherigen Genehmigung durch die zuständigen Behörden abhängig. Diese wird nur bei Bedarf erteilt. Dagegen können Gruppenpraxen von selbständigen Ärzten jederzeit ohne Genehmigung und Bedarfsprüfung gegründet werden. Ambulatorien und Gruppenpraxen verfügen dabei nicht nur über eine vergleichbare Ausstattung und Anzahl an Ärzten, sondern bieten in der Regel auch die gleichen medizinischen Leistungen an, so dass Patienten diese normalerweise nicht unterscheiden können. Der EuGH hatte nun die Frage zu beantworten, ob eine solche Genehmigungspflicht in Verbindung mit einer Bedarfsprüfung mit dem Gemeinschaftsrecht, genauer mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. Dabei stellt er fest, dass diese Regelung als Beschränkung grundsätzlich einer Rechtfertigung bedarf. Er prüft im Folgenden ausführlich und mit hoher Prüfungsdichte die Geeignetheit der Regelung zur Verwirklichung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus, sowie der Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit, um diese Geeignetheit dann zu verneinen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Prüfung des seit dem Urteil Gambelli[1] bekannten Kohärenzgebotes. Danach muss die gesetzliche Regelung dem Anliegen gerecht werden, das geltend gemachte Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen. Für die österreichische Regelung fehlt es nach Ansicht des EuGH aufgrund einer fehlenden Genehmigungsregelung für die in Ausstattung, Einrichtung und Leistung vergleichbaren Gruppenpraxen nun gerade an einer solchen kohärenten Ausgestaltung der Regelung. Auch habe der Mitgliedsstaat nichts vorgetragen, was eine solche unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte.
Welche Auswirkungen hat dieses Urteil nun auf die gemeinschaftsrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit eines Glücksspielmonopols?
Zunächst einmal zeigt es, das der EuGH auch in Kompetenzbereichen, die grundsätzlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind, eine strenge Prüfung auch der Geeignetheit vornimmt und den Mitgliedsstaaten gerade keinen breiten Beurteilungsspielraum überlässt. Der EuGH schreibt damit die Entwicklungslinie einer zunehmend strenger werdenden Rechtfertigungsprüfung weiter fort. Darüber hinaus wird erneut bestätigt, dass die Darlegungs- und Untersuchungslast auf Rechtfertigungsebene bei den Mitgliedstaaten liegt, so dass ein mitgliedstaatliches Glücksspielmonopol überhaupt nur gerechtfertigt werden kann, wenn die Erforderlichkeit des ergriffenen Schutzniveaus auf Tatsachen beruht, die durch eine aussagekräftige Studie belegt werden. Entscheidend aber zeigt sich, dass eine kohärente Beschränkung der Grundfreiheiten bereits dann nicht vorliegen kann, wenn vergleichbare Kategorien unterschiedlich behandelt werden. An einer Kohärenz muss es daher umso mehr fehlen, wenn, wie in Deutschland, ein relativ ungefährliches Glücksspielangebot (Lotto) verboten wird, während wesentlich gefährlichere Glücksspielangebote, wie etwa Automatenglücksspiele und Online-Pferdewetten, veranstaltet werden dürfen.
Fazit
Möchte man eine Prognose abgeben, so ist zu erwarten, dass sich diese Auswirkungen spätestens im derzeit anhängigen Vorlageverfahren C-46/08, Carmen Media Group, bemerkbar machen werden, das von der Kanzlei Hambach & Hambach geführt wird. Dort steht die Frage der Kohärenz des deutschen Glücksspielmonopols im Mittelpunkt.[2] Sollte es nicht zuvor zu einem politischen Einlenken des Gesetzgebers kommen, so dürfte das Monopol der nach der Entscheidung Hartlauer zu erwartenden strengen Prüfung des Kohärenzgebots durch den EuGH nicht standhalten. Um auf die eingangs erwähnte Metapher zurückzukommen, würde das Monopol in Deutschland damit das gleiche Schicksal ereilen wie Jürgen Klinsmann: es hätte ausgedient.
[1] Rs. C-243/01, Gambelli u.a., Slg. 2003, I-13031, Rdnr. 67.
[2] Vgl. dazu bereits W. Hambach/C. Hambach, "Gesetzgebungsbilanz – 100 Tage
Glücksspielstaatsvertrag": Finanzieller und rechtlicher Segen oder Waterloo für Bundesländer und Destinäre?, TIME Law News 1/2008, S. 21 (25).
Aus: TIME LAW NEWS 3/2009 (http://www.timelaw.de) der Kanzlei Hambach & Hambach Rechtsanwälte