spielo
09.03.2009, 14:09
Knapp vorbei ist auch gewonnen
Beinahetreffer belohnt das Hirn wie Erfolge
Es ist eine raffinierte Funktion mancher Spielautomaten: Bei einer einfachen Niete zeigen sie lieber Ergebnisse, die nur knapp neben dem Jackpot liegen. Was machen diese Beinahetreffer mit dem Hirn des Spielers?
Im Jahr 1989 untersagte die Nevada Gaming Commission einem Hersteller von Einarmigen Banditen die Weiterverwendung ihres Steuerprogramms. Der Grund: Statt einer simplen Niete zeigte es überdurchschnittlich oft einen Beinahetreffer an. Spieler sahen dann zum Beispiel gleich drei Mal die Jackpot-Kirsche, nur war die dritte um eine Stelle von der entscheidenden Linie entfernt. In einem anderen Fall zeigte das Gerät tatsächlich drei Kirschen, allerdings nur dann, wenn das Ergebnis beim aktuellen Spiel ausnahmsweise nicht den Hauptgewinn bedeutete. Und schon wieder knapp verloren ...
Diese Frust-Funktion bauten die Automatenhersteller natürlich nicht ohne Hintergedanken ein. Was sie schon immer ahnten, haben inzwischen auch Studien wissenschaftlich belegt: Beinaheerfolge verleiten zu immer weiteren Runden. Circa 30 Prozent der Resultate müssen knappe Niederlagen sein, dann ist die Motivation am höchsten.
Im Allgemeinen ist das interne Belohnungssystem schuld daran, wenn Spielsüchtige nie genug bekommen können. Bei jedem Treffer brennt es ein beglückendes neuronales Feuerwerk ab. Aber knapp vorbei ist eben auch daneben - bei einem Beinahetreffer gibt es keinen Erfolg, kein Geld und auch keine positive Grundstimmung im Gemüt des Spielers. Das Paradoxe: Nie macht ihm das Spiel weniger Spaß, aber nie hat er mehr Lust weiterzumachen.
Ähnlich empfanden auch die Versuchspersonen von Luke Clark von der University of Cambridge. Sie zockten teils in der Röhre des funktionellen Magnetresonanztomografen, teils am Schreibtisch sitzend an einem simulierten Einarmigen Banditen. Zu gewinnen gab es knapp einen Euro pro Runde. "Unsere Ergebnisse zeigen: Das Gehirn reagiert auf einen Beinahetreffer so, als hätte es einen Gewinn erlebt, obwohl das Resultat rein technisch ein Verlust ist", erläutert Clark.
Bei jedem knappen Misserfolg leuchteten Areale auf, die vielfach im Zusammenhang mit unerwarteten Geldgewinnen gesehen werden: die Insula und das ventrale Striatum. Erstere trägt zum Suchtverhalten bei, letzteres ist Teil des Belohnungssystems.
Diejenigen Teilnehmer, die ihre Insula besonders stark aktivierten, kreuzten außerdem auf einem Fragebogen häufig Aussagen an wie "Nach einer Reihe von Misserfolgen ist bald eine Gewinnserie fällig". Solche Behauptungen seien laut den Wissenschaftlern ein typisches Anzeichen für die Neigung zur Spielsucht.
Und noch etwas erwies sich als entscheidender Faktor: Nur wenn der Proband persönlich auf das Glücksknöpfchen drücken durfte, das die Walzen zum Stillstand bringt, zeigte sich die Belohnungsreaktion deutlich. Auch ein Motivationszentrum im Cingulum, einer Hirnregion im vorderen Teil des Kortex, meldete sich in diesem Fall. Übernahm ein Computer den Ablauf des Spiels, blieb diese Reaktion aus.
In diesem Gefühl vermeintlicher Kontrolle sieht Clark den Schlüssel zur Erklärung seiner Befunde. "Wenn es bei Spielen auf Geschicklichkeit ankommt, sind Beinahetreffer ein Zeichen dafür, dass man langsam den Dreh heraus bekommt. In solchen Fällen lohnt es sich weiterzumachen." Offenbar gelingt die Unterscheidung zwischen beiden Spielsystemen nicht allen beteiligten Hirnbereichen.
Das Gefühl, ein komplett dem Zufall überlassenes Spiel beeinflussen zu können, ist weit verbreitet. Beispielsweise würfeln Menschen etwas fester, wenn sie sich höhere Zahlen wünschen. Und dürfen sie beim Roulette selbst Hand anlegen, gehen Gewinnerwartung und damit auch der Einsatz in die Höhe.
Die Kombination aus dieser "Kontrollillusion" und häufigen Beinahetreffern steigern das Suchtpotential eines Spieles erheblich, so die Schlussfolgerung von Clark und Kollegen. Tilman Becker von der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim hält Beinahetreffer ebenfalls für gefährlich: "Leider verbietet in Deutschland kein Gesetz, dass Automaten überdurchschnittlich häufig solche 'Near-misses' anzeigen."
Auch in den USA hat sich die Entscheidung der Nevada Game Commission als schwammig und lückenhaft erwiesen, schreibt der Glücksspielforscher Kevin Harrigan von der University of Waterloo. Sie habe lediglich dafür gesorgt, dass bei Spielern der Eindruck enstand, solche Geheimfunktionen seien verboten. Tatsächlich werde bei den Automaten nach wie vor manipuliert.
Beinahetreffer belohnt das Hirn wie Erfolge
Es ist eine raffinierte Funktion mancher Spielautomaten: Bei einer einfachen Niete zeigen sie lieber Ergebnisse, die nur knapp neben dem Jackpot liegen. Was machen diese Beinahetreffer mit dem Hirn des Spielers?
Im Jahr 1989 untersagte die Nevada Gaming Commission einem Hersteller von Einarmigen Banditen die Weiterverwendung ihres Steuerprogramms. Der Grund: Statt einer simplen Niete zeigte es überdurchschnittlich oft einen Beinahetreffer an. Spieler sahen dann zum Beispiel gleich drei Mal die Jackpot-Kirsche, nur war die dritte um eine Stelle von der entscheidenden Linie entfernt. In einem anderen Fall zeigte das Gerät tatsächlich drei Kirschen, allerdings nur dann, wenn das Ergebnis beim aktuellen Spiel ausnahmsweise nicht den Hauptgewinn bedeutete. Und schon wieder knapp verloren ...
Diese Frust-Funktion bauten die Automatenhersteller natürlich nicht ohne Hintergedanken ein. Was sie schon immer ahnten, haben inzwischen auch Studien wissenschaftlich belegt: Beinaheerfolge verleiten zu immer weiteren Runden. Circa 30 Prozent der Resultate müssen knappe Niederlagen sein, dann ist die Motivation am höchsten.
Im Allgemeinen ist das interne Belohnungssystem schuld daran, wenn Spielsüchtige nie genug bekommen können. Bei jedem Treffer brennt es ein beglückendes neuronales Feuerwerk ab. Aber knapp vorbei ist eben auch daneben - bei einem Beinahetreffer gibt es keinen Erfolg, kein Geld und auch keine positive Grundstimmung im Gemüt des Spielers. Das Paradoxe: Nie macht ihm das Spiel weniger Spaß, aber nie hat er mehr Lust weiterzumachen.
Ähnlich empfanden auch die Versuchspersonen von Luke Clark von der University of Cambridge. Sie zockten teils in der Röhre des funktionellen Magnetresonanztomografen, teils am Schreibtisch sitzend an einem simulierten Einarmigen Banditen. Zu gewinnen gab es knapp einen Euro pro Runde. "Unsere Ergebnisse zeigen: Das Gehirn reagiert auf einen Beinahetreffer so, als hätte es einen Gewinn erlebt, obwohl das Resultat rein technisch ein Verlust ist", erläutert Clark.
Bei jedem knappen Misserfolg leuchteten Areale auf, die vielfach im Zusammenhang mit unerwarteten Geldgewinnen gesehen werden: die Insula und das ventrale Striatum. Erstere trägt zum Suchtverhalten bei, letzteres ist Teil des Belohnungssystems.
Diejenigen Teilnehmer, die ihre Insula besonders stark aktivierten, kreuzten außerdem auf einem Fragebogen häufig Aussagen an wie "Nach einer Reihe von Misserfolgen ist bald eine Gewinnserie fällig". Solche Behauptungen seien laut den Wissenschaftlern ein typisches Anzeichen für die Neigung zur Spielsucht.
Und noch etwas erwies sich als entscheidender Faktor: Nur wenn der Proband persönlich auf das Glücksknöpfchen drücken durfte, das die Walzen zum Stillstand bringt, zeigte sich die Belohnungsreaktion deutlich. Auch ein Motivationszentrum im Cingulum, einer Hirnregion im vorderen Teil des Kortex, meldete sich in diesem Fall. Übernahm ein Computer den Ablauf des Spiels, blieb diese Reaktion aus.
In diesem Gefühl vermeintlicher Kontrolle sieht Clark den Schlüssel zur Erklärung seiner Befunde. "Wenn es bei Spielen auf Geschicklichkeit ankommt, sind Beinahetreffer ein Zeichen dafür, dass man langsam den Dreh heraus bekommt. In solchen Fällen lohnt es sich weiterzumachen." Offenbar gelingt die Unterscheidung zwischen beiden Spielsystemen nicht allen beteiligten Hirnbereichen.
Das Gefühl, ein komplett dem Zufall überlassenes Spiel beeinflussen zu können, ist weit verbreitet. Beispielsweise würfeln Menschen etwas fester, wenn sie sich höhere Zahlen wünschen. Und dürfen sie beim Roulette selbst Hand anlegen, gehen Gewinnerwartung und damit auch der Einsatz in die Höhe.
Die Kombination aus dieser "Kontrollillusion" und häufigen Beinahetreffern steigern das Suchtpotential eines Spieles erheblich, so die Schlussfolgerung von Clark und Kollegen. Tilman Becker von der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim hält Beinahetreffer ebenfalls für gefährlich: "Leider verbietet in Deutschland kein Gesetz, dass Automaten überdurchschnittlich häufig solche 'Near-misses' anzeigen."
Auch in den USA hat sich die Entscheidung der Nevada Game Commission als schwammig und lückenhaft erwiesen, schreibt der Glücksspielforscher Kevin Harrigan von der University of Waterloo. Sie habe lediglich dafür gesorgt, dass bei Spielern der Eindruck enstand, solche Geheimfunktionen seien verboten. Tatsächlich werde bei den Automaten nach wie vor manipuliert.