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spielo
27.09.2009, 18:47
"Abhängig vom Glücksspiel"

Hohenheim - Poker liegt in Deutschland im Trend, nicht erst seit Stefan Raab daraus eine abendfüllende Fernsehshow gemacht hat. Längst hat das Glücksspiel auch das Internet erreicht, gemeinsam mit Kasinoklassikern wie Roulette und Blackjack, mit Wett- und Lotteriespielen. Fast 15 der weltweit jährlich 350 Milliarden US-Dollar Gewinn macht die Branche online. Und obwohl in Deutschland Glücksspiele im Internet verboten sind, sind hierzulande nach Expertenschätzungen zwischen 80.000 und 300.000 Menschen süchtig nach der Zockerei.

Ob aus juristischer, wirtschaftlicher oder medizinischer Sicht - das Thema "Glücksspiel im Internet" hat viele Facetten. Doch die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Eine Bestandsaufnahme haben jetzt 150 Experten beim Symposium Glücksspiel 2009 an der Uni Hohenheim vorgenommen. Der Tenor: der Staat muss sich entscheiden, was er will. Einerseits profitiert er, insbesondere durch die staatlichen Lotterien, ganz erheblich vom Glücksspiel. "Der Staat ist derjenige, der am schlimmsten glücksspielabhängig ist", sagt Martin Sychold, der Bereichsleiter Glücksspielrecht am Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung. Deutschland könne nicht einfach sagen: "Wir verzichten darauf."

Andererseits bringt das Glücksspiel im Internet gegenüber der stationären Zockerei noch eine Reihe zusätzlicher Probleme mit sich. Da sind zunächst die erhöhten Suchtrisiken. Die Spieler sind allein vor dem Computer und unterliegen keiner sozialen Kontrolle. "Sie könnten betrunken sein und 24 Stunden am Tag spielen", sagt Tilman Becker, der Leiter der Hohenheimer Forschungsstelle Glücksspiel. Ferner ist es für den Staat schwierig, die Einhaltung der Gesetze zu erzwingen. Millionenumsätze mit einem Angebot, das es gar nicht geben dürfte, sprechen eine klare Sprache. Die Erklärung ist so einfach wie erschreckend: 59 Prozent aller Anbieter von Online-Glücksspielen sitzen in der Karibik oder ähnlich abgelegenen Regionen ohne beschränkende Gesetzgebung. Allein 19 Prozent entfielen auf ein indianisches Reservat in Kanada, betont Martin Oelbermann, der Geschäftsführer der Beratungsfirma Media & Entertainment Consulting Network. Weitere 29 Prozent bedienen den europäischen Markt von Malta, Gibraltar oder Zypern aus. "Lediglich sieben Prozent aller Anbieter arbeiten 100 Prozent legal", sagt Oelbermann.

Das führt direkt zur nächsten Problematik. Natürlich könnte der Staat hier eingreifen. Er könnte Webseiten sperren, könnte Anbieter wie Verbraucher überwachen. Doch wie umstritten und letztlich nutzlos Sperren im Internet sind, hat sich schon bei der Diskussion um Kinderpornografie in den letzten Monaten gezeigt. Mit entsprechender Anleitung seien gesperrte Webseiten innerhalb weniger Minuten wieder erreichbar, erklärt Stefan Köpsell, Informatiker an der TU Dresden. Schließlich sei die Ausfallsicherheit die historische Grundidee des Internets.

Sicherheit und Schutz vor der Spielsucht

Erfolgversprechender scheint deshalb ein Konzept aus den USA. Dort haben Glücksspiele, vor allem Sportwetten, von jeher einen schweren Stand. Weil die großen Sportverbände Manipulationen befürchten, sind Tippspiele verboten. Seit 2006 geht die Regierung im Kampf gegen Glücksspiele im Internet einen Schritt weiter. Finanzinstituten ist es untersagt, Gelder im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen weiterzuleiten. So können Spieler keine Einsätze machen, Anbieter keine Gewinne auszahlen. Erzielte die Branche 2006 noch 47 Prozent ihrer weltweiten Umsätze in den USA, waren es 2008 nur noch 25 Prozent. Das zeigt, dass sich mit dem sogenannten "financial blocking" Glücksspiele im Internet zwar nicht komplett unterbinden lassen, dass dieser Weg aber durchaus effektiv ist. Aushebeln lässt sich die Blockade beispielsweise, indem die Geldflüsse über ausländische - und damit teils unsichere - Kanäle abgewickelt werden. Die Anbieter, die seit 2006 die USA verlassen haben, agieren heute übrigens größtenteils in Europa.

In Europa gibt es keine einheitliche politische Linie beim Umgang mit Glücksspielen im Internet. Von weitgehend erlaubt bis komplett verboten reicht das Feld. Besonders schwierig ist es für Anbieter in Föderalstaaten wie Deutschland. Aus historischen Gründen ist Polizeirecht - und damit auch Glücksspiel - Ländersache. "Die Urteile zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen sind extrem unterschiedlich", kritisiert Oelbermann. Für legale Anbieter gebe es kaum Verlässlichkeit. In der Vergangenheit haben einzelne Gesetzesänderungen erfolgreiche Anbieter innerhalb von ein oder zwei Jahren komplett verdrängt.

Der seit 2008 geltende Glücksspielstaatsvertrag sollte hier Sicherheit schaffen und zugleich Verbraucher vor der Sucht schützen. In der Praxis hat er mehr Spieler in den Schwarzmarkt getrieben und seriöse Anbieter geschädigt. Zwar betont Sychold: "Die deutsche Gesetzgebung ist nicht schlechter als anderswo" - doch er schiebt hinterher: "Auch nicht besser. Und anderswo ist sie schlecht." Der Staat müsse sich bei der 2011 fälligen Anschlussregelung entscheiden, ob er das Glücksspiel - online wie stationär - weitgehend liberalisieren möchte, oder ob er - mit eigenen finanziellen Einbußen - wirklich restriktiv handeln und wie in den USA Geldströme blockieren will.

Die restriktive Entscheidung hätte einen großen Vorteil: "Wer weniger Sucht will, muss weniger Glücksspiel anbieten", erklärt Sychold. Das sei heute erwiesen. Wie schwerwiegend diese Sucht ist, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Immerhin gibt es zehnmal mehr Alkoholabhängige und mindestens 30-mal mehr Nikotinabhängige in Deutschland. Die volkswirtschaftlichen Kosten belaufen sich laut Becker auf ein Prozent derer von Alkohol- oder Nikotinsucht, krankheitsbedingte Todesfälle gibt es keine. Das größte Suchtpotenzial hat übrigens der Automat im Casino. Poker steht weit hinten auf der Liste - ob mit oder ohne Stefan Raab.

Quelle: stuttgarter-zeitung.de