- Britische Buchmacher:
Wetten, es gibt keine Rezession?
März 2009 Es gibt in Großbritannien Zahlen, die beim gemeinen Mitteleuropäer nur für sprachloses Erstaunen sorgen. Zum Beispiel diese: Der Veranstalter des in der kommenden Woche stattfindenden Pferdesport-Spektakels im südenglischen Cheltenham rechnet damit, dass die Briten auch im Krisenjahr 2009 Wetteinsätze von deutlich mehr als 500 Millionen Pfund (rund 560 Millionen Euro) auf den Ausgang der Hindernisrennen abschließen. 230.000 Besucher werden vor Ort in Cheltenham erwartet. Das Geschäft der „Bookies“, wie in Großbritannien die Buchmacher genannt werden, ist eine gewaltige Geldmaschine. Und es ist ein Spiegel der britischen Risiko-Gesellschaft.
Die gescheiterten Investmentbanker, die im Londoner Finanzviertel Canary Wharf Milliarden verzockt haben, und die Glücksritter in den Buchmacherfilialen eint der Hunger nach dem schnellen Geld. Wenige Experten kennen sich in der irrwitzigen Welt der britischen Wettindustrie so gut aus wie der Ökonom Leighton Vaughan Williams, Direktor des Instituts für Wettforschung an der Nottingham Trent University. Williams schätzt, dass bei Buchmachern und Wettbörsen in Großbritannien im vergangenen Jahr Einsätze von rund 50 Milliarden Pfund getätigt wurden. Das ist fast doppelt so viel, wie in Deutschland die gesamte Glücksspielwirtschaft einschließlich Lotto und Spielcasinos umsetzt.
Keine Auswirkungen der Krise
Die Wachstumsraten im britischen Wettgeschäft lassen sogar den durch die Finanzkrise jäh gestoppten Boom der Großbanken bescheiden aussehen. Laut Williams sind die Wettumsätze in Großbritannien heute siebenmal so hoch wie noch zur Jahrtausendwende. Als Hauptgrund dafür nennt der Wissenschaftler, dass in Großbritannien seit 2001 das Wetten steuerfrei ist. „Das gibt es sonst nirgends auf der Welt“, sagt Williams. Die dunkle Seite des großen Geschäfts mit dem Nervenkitzel: Nach Schätzung der Aufsichtsbehörde Gambling Commission gibt es in Großbritannien bis zu 370.000 Spieler mit Suchtverhalten.
Die Filialen der großen Buchmacherketten sind im britischen Straßenbild allgegenwärtig. Lange suchen muss niemand, der eine Wette wagen will, schließlich gibt es in Großbritannien fast 9000 Buchmacherfilialen. In Deutschland sind es nur rund 160. Der Spaß am Wetten ist den Briten selbst in der schwersten Rezession seit Generationen nicht abhandengekommen. „Wir sehen bisher keine Auswirkungen der Krise“, sagt Ralph Topping, der Vorstandsvorsitzende des börsennotierten Wettanbieters William Hill. Sein Unternehmen ist neben dem Konkurrenten Ladbrokes Marktführer im britischen Wettgeschäft. Bei William Hill ist in den ersten zwei Monaten des neuen Jahres der Nettoumsatz gegenüber dem Vorjahr um 9 Prozent gestiegen, und dies obwohl wegen vereister Bahnen zahlreiche Pferderennen abgesagt werden mussten. Vergangenes Jahr hat das Unternehmen seinen Vorsteuergewinn bereinigt um Sondererträge um 3 Prozent auf 216 Millionen Pfund gesteigert, der Umsatz wuchs proportional dazu auf 968 Millionen Pfund.
Wetten auf Kursdifferenzen
„Alle unsere Geschäfte laufen bemerkenswert robust. Die Leute haben immer noch Spaß daran, ein paar Pfund zu setzen“, sagt auch Christopher Bell, der Chef von Ladbrokes. Sein Unternehmen hat allerdings vergangenes Jahr Einbußen erlitten, weil die Briten zwar in der Rezession weiterhin wetten, sehr hohe Einsätze aber seltener riskieren. Die im Spielerjargon „High Roller“ genannten Kunden setzen bei einer einzelnen Wette schon mal fünfstellige Beträge ein. Krisengewinner sind dagegen auf Finanzwetten spezialisierte Anbieter wie die britische IG Group. Rund um die Uhr können die Kunden auf der Homepage des Unternehmens online auf alle möglichen Kurse, Marktpreise und Indexstände wetten.
Wie selbstverständlich hängt in den Waggons der Londoner U-Bahn nicht nur Reklame für Schokoriegel und Versicherungen, sondern auch für das „Spread-Betting“ (zu Deutsch etwa Kursdifferenz-Wetten). Und während Aktien-, Rohstoff- und Devisenkurse rund um den Globus Achterbahn fahren, laufen die Geschäfte der IG Group glänzend. Die Ende Januar veröffentlichten Zahlen für das erste Halbjahr (30. November) des laufenden Geschäftsjahrs 2008/2009 zeigen einen Umsatzsprung um 47 Prozent auf 127 Millionen Pfund, während der Betriebsgewinn um ein Viertel auf 60 Millionen Pfund stieg.
Lieblingsobjekt Pferdesport
Es gibt wenige Dinge, auf die man in Großbritannien nicht wetten kann. Lieblingsobjekt der Zocker ist der Pferdesport. Kein Wunder: Auf der Insel sind rund 60 Pferderennbahnen in Betrieb und damit etwa doppelt so viele wie in Deutschland. Legendäre Veranstaltungen wie das Rennen in Ascot, das Grand National oder eben Cheltenham ziehen die Nation in ihren Bann. Doch Sportwetten aller Art sind längst nicht alles, worauf man bei britischen Buchmachern setzen kann. Beliebte Klassiker sind Fragen wie: „Welche Farbe hat der Hut, den die Queen dieses Jahr in Ascot trägt?“ und „Liegt an Weihnachten in London Schnee?“ Berufspendler wetten, dass ihre Züge pünktlich fahren, stolze Väter, dass ihr einjähriger Sohn einmal in der Fußball-Nationalmannschaft spielen wird, Todkranke, dass ihr Arzt mit seiner Diagnose falsch liegt. Ein Exzentriker setzte einst sogar darauf, dass der Buchstabe Q aus dem Alphabet gestrichen werde.
Auf der Insel legendäre Geschichten wie die von David Threlfall faszinieren das Publikum: Threlfall setzte 1961 zehn Pfund darauf, dass noch bevor das Jahrzehnt zu Ende gehe, ein Mensch den Mond betrete. Er machte sich damit zum Gespött. Doch acht Jahre später konnte er bei seinem Buchmacher einen Gewinn von 10.000 Pfund abholen. Es gibt freilich selbst in Großbritannien Grenzen: Bei William Hill wollten vergangenen Herbst mehr als 100 Kunden darauf setzen, dass Barack Obama die amerikanische Präsidentenwahl nicht erleben werde, weil er vorher einem Attentat zum Opfer falle. Dieses Risiko für das eigene Ansehen war dem Buchmacher dann doch zu groß.
Quelle: <a href="http://www.faz.net/s/Rub58241E4DF1B149538ABC24D0E82A6266/Doc~EC0FA0C3749D1440DAC286AC08155023B~ATpl~Ecommon ~Scontent.html?rss_aktuell">http://www.faz.net/s/Rub58241E4DF1B1495 ... ss_aktuell</a>
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