Das Geschäft mit dem Nervenkitzel

Der Wettscheindrucker auf dem Tresen ist außer Betrieb. Ein gelbes Siegel klebt darauf. Das bedeutet: Die Kontrolleure des niedersächsischen Innenministeriums waren zu Besuch. Sie haben das Geschäft mit Sportwetten in dem Braunschweiger Lokal verboten.

Der Chef steht hinter dem Tresen, raucht und schaut, den Kopf auf die Hand gestützt, auf seinen Computerbildschirm. Die Wände hängen voller Fußballtrikots und Nationalflaggen, dazwischen sind Monitore und Fernseher angebracht. Seine Gäste verfolgen ein Spiel der Europameisterschaft U 17. Spanien gegen Frankreich.

Wie verdient der Besitzer hier sein Geld? "Ich verkaufe Kaffee in Plastikbechern und biete Internet an", sagt er. Und die drei Spielautomaten. Dass er auch illegales Glücksspiel anbietet, will er nicht zugeben. Doch das Siegel spricht für sich.

Das sollte der Betreiber besser nicht antasten, erläutert Ina Bogner, Regierungsrätin im Glücksspielreferat des Innenministeriums. Siegelbruch ist eine Straftat. Sie wird angezeigt und mit bis zu einem Jahr Haft bestraft.

Das Sportlokal in der Innenstadt ist nicht das einzige, das illegale Wetten angeboten hat. Zwischen 2003 und Ende 2009 hat das Innenministerium allein in Braunschweig 22 Lokale geschlossen.

"Braunschweig gehört zu den Schwerpunkten", sagt Bettina Meyer, Regierungsdirektorin im Glücksspielreferat. Wie viele Wettbüros es heute in der Stadt gibt, könne sie nicht sagen, die Zahl ändere sich beinahe täglich.

Besonders Sportwetten haben in Deutschland eine lange Tradition. Bereits 1949 gründeten Sportverbände das noch heute existierende Toto. In den 50er Jahren kam Lotto hinzu. Seit 2008 hat der Staat das Monopol auf Lotterien und Sportwetten. Ziel des Glücksspielstaatsvertrags ist es, Spielsucht zu verhindern. Öffentliche Glücksspiele dürfen nur mit Erlaubnis des Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Allerdings steht die Lotterie seitdem vor einem Problem. Da nur Toto- Lotto Sportwetten anbieten darf, drängen illegale Internet-Anbieter auf den Markt, die bessere Quoten und höhere Gewinne bieten.

Sportwetten vom Glücksspielgesetz zu trennen und ein Geschicklichkeitsspiel daraus zu machen, sei eine Möglichkeit, den von illegalen Anbietern durchsetzten Markt zu retten, ist Rolf Stypmann, Geschäftsführer von Toto-Lotto Niedersachsen, überzeugt – so wie in einigen europäischen Ländern bereits geschehen. Dass Sportwetten süchtig machen können, ist Stypmann bewusst. Allerdings gebe es ohnehin Widersprüche. "Spiele, bei denen die Suchtgefahr viel höher ist, beispielsweise bei Automaten in Spielhallen und Casinos, werden liberalisiert", kritisiert er.

In der Spielbank in Bad Harzburg gibt es deshalb strenge Kontrollen. Wer sie betreten möchte, muss volljährig sein und seinen Personalausweis vorlegen. Name, Anschrift und Geburtsdatum werden erfasst, zudem händigt der Kassierer jedem Gast ein Infoblatt aus – Spielen mit Verantwortung. "Wir sind verpflichtet, über die Gefahren einer Spielsucht zu informieren", erklärt er höflich.

Der Boden im Tischspielsaal ist mit Teppich ausgelegt, die Wände sind verspiegelt, es glitzert und funkelt überall. Die meisten Gäste – täglich sind es etwa 100, an Wochenenden bis zu 300 – sind weniger glamourös, keine Krawatten, keine Abendkleider. Sie verteilen sich an Roulette-, Black Jack- und Pokertischen oder im Automatensaal nebenan.

"Unsere Gäste gehören keineswegs ausschließlich einer höheren gesellschaftlichen Schicht an. Das ist ein Klischee", erklärt Edgar Lutz, Leiter des Hauses. Der Gang ins Casino ist heute kein Privileg mehr für Reiche. "Wenn sie ins Kino gehen, schick essen und die Disco besuchen, geben Sie 100 Euro am Abend aus. Das können Sie bei uns auch, nur mit mehr Nervenkitzel."

Wenn die kleine weiße Roulette-Kugel immer langsamer und gleich in einem Zahlenfeld landen wird, ist das tatsächlich aufregend. So schnell, wie man den Jeton gesetzt hat, so schnell hat man auch schon gewonnen – oder verloren. Nervenkitzel, der süchtig machen kann.

Den Betreibern der Spielbank ist das bewusst. "Wir haben unseren Gästen gegenüber eine Fürsorgepflicht", weiß Lutz. Die Mitarbeiter werden jährlich geschult, das Suchtverhalten von Gästen zu erkennen, sie führen Gespräche mit ihnen und schließen sie notfalls vom Spiel aus, erklärt Lutz. Die Daten des Gastes werden dann in einer Datenbank registriert. Mit einer solchen Sperre darf der Spieler kein Casino mehr betreten.

"Automatenspiele, insbesondere in Spielhallen und Casinos, stellen die größte Suchtgefahr dar", sagt Matthias Gernig, Sozialpädagoge und Suchttherapeut beim Braunschweiger Lukas-Werk. 53 der 62 Klienten, die im vergangenen Jahr die Suchthilfe mehrfach in Anspruch genommen haben, spielten daran.

Den typischen Spielsüchtigen gebe es nicht – alle Schichten seien vertreten, vom Akademiker bis zum Hartz-IV-Empfänger. Wenn der Partner die Situation nicht mehr hinnimmt, die Geldnöte zu groß werden oder der Druck nicht mehr auszuhalten ist, finden die meisten den Weg zur Suchthilfe. Manche haben bereits in jungen Jahren enorme Schulden von bis zu 100 000 Euro, andere sprechen von Selbstmord, weil sie dem Druck nicht mehr standhalten können.

"Beim Glücksspiel kaufen sich die Spieler ein Gefühl. Beispielsweise die Hoffnung auf einen Sechser im Lotto", erklärt Gernig. "Man geht nicht vom Schlechten aus, sondern überlegt schon vor der Ziehung, was man mit dem gewonnenen Geld anstellt. Das ist ein gutes Gefühl."

Ein gutes Gefühl sei auch Macht – die Macht, drei Automaten gleichzeitig zu bedienen. Oder Zugehörigkeit, wie die Gemeinschaft mit anderen Spielern oder die Bekanntschaft mit der Thekendame. Glücksspiel bediene Bedürfnisse.

Die eigentliche Sucht wird im Kopf produziert, durch die Ausschüttung von Glückshormonen, erläutert Gernig. Dabei gibt es, wie bei Alkoholikern, eine Toleranzentwicklung. Sie brauchen immer mehr von diesem guten Gefühl. "Und je höher der Einsatz, desto mehr Kribbeln."

Gleichzeitig führt das aber auch dazu, dass die Leute ständig unter Strom stehen und körperlich krank werden. Sie schlafen schlecht, essen nicht mehr. "Man hat das Gefühl, dass die ständig eine Hand in der Steckdose haben", sagt Gernig.

Deswegen sei eine staatliche Kontrolle vernünftig. "Glücksspiel ist ein lukratives Geschäft mit der Sucht."


Fazit: Bleibt nur die Frage woher die das nur Wissen happy4