Geschäft mit der Sucht
Rekordumsätze bei Glücksspielautomaten

Gewinnspielautomaten füllen die Kassen der Industrie zu Lasten der Süchtigen, sagen Kritiker. Verordnungen und Gesetze, die vor Spielsucht schützen sollen, würden von einer starken Lobby ausgehebelt oder gar verhindert. Die Automatenindustrie konnte sich im vergangenen Jahr über 3,4 Milliarden Euro Rekordumsatz freuen.



"Schnelle, harte Schläge, alle drei Sekunden, zack, zack, zack!", so beschreibt ein Brancheninsider das Spiel an den Automaten, die man heute auch in vielen Gaststätten findet. Die seien "psychologisch auf maximale Suchterzeugung ausgerichtet", meint er. Die Spielverordnung, die am 1. Januar 2006 in Kraft getreten ist, hätte das noch verschlimmert.

Mehr Spielsüchtige

Zwar sollte die Verordnung das Glücksspiel an den Automaten regulieren und vor Sucht schützen, sie habe jedoch das Ziel verfehlt, meint Ilona Füchtenschnieder von der Landesfachstelle Glücksspielsucht in Nordrhein-Westfalen. "Die Änderung der Spielverordnung im Jahr 2006 hat den Interessen der Automatenindustrie gedient, aber nicht den Interessen des Spielerschutzes", sagt sie. So sind in Gaststätten seit 2006 drei statt zwei Automaten erlaubt, in Spielhallen zwölf statt zehn. Der maximale Stundenverlust pro Gerät wurde von 60 auf 80 Euro erhöht. Zudem ist das Spiel schneller geworden: Statt früher zwölf dauert ein Spiel heute fünf Sekunden. Seit der Änderung der Spielverordnung gibt es in Deutschland deutlich mehr Geldspielgeräte: 2005 waren es 183.000 Automaten, heute sind es 225.000.

Eine Folge der neuen Verordnung seien mehr Spielsüchtige, sagt Ilona Füchtenschnieder. Immer mehr Ratsuchende kämen zu ihr in die Beratungsstelle - mit steigender Tendenz. "Eine verantwortungsvolle Suchtpolitik hätte hier wesentlich größere Einschränkungen vorgenommen".

Mehr Gewinn

Zudem werden vermeintliche Einschränkungen in der Spielverordnung durch Tricks umgangen. So legt der Paragraph 13 fest, dass die Mindestspieldauer fünf Sekunden betragen muss, der Einsatz 20 Cent nicht übersteigen darf und höchstens zwei Euro gewonnen werden dürfen. Diese Regelung unterlaufen die Hersteller mit der Umwandlung der Geldeinsätze in Punkte. Mit denen kann dann schneller und in nahezu unbegrenzter Höhe gespielt werden, denn von Punkten steht in der Spielverordnung nichts.



Die Unternehmen der Automatenindustrie haben nach Inkrafttreten der neuen Spielverordnung Rekordumsätze erzielt: 2008 hat die Branche 3,4 Milliarden Euro aus den Automaten geholt. Der mächtige Verbandspräsident Paul Gauselmann ist Multimillionär. Er hat nach eigenen Angaben mit seinen Glücksspielunternehmen im vergangenen Jahr ein Geschäftsvolumen von 1,12 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Glückspiel und Lobbyismus

Zu Lasten der Süchtigen, meint der Bundestagsabgeordnete Harald Terpe von den Grünen. "So etwas lässt sich nur durchsetzen, wenn ein entsprechender Lobbyismus betrieben wird", so Terpe. Die Branche zeigt ihre guten Kontakte auf ihren Firmenwebseiten. So ist Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel der Vorsitzende des Aufsichtsrats des Spielautomatenherstellers NSM-Löwen-Entertainment. Der frühere NRW-Justizminister Rolf Krumsiek hat den Posten des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Gauselmann-Gruppe.


Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, unter dessen Ägide die neue Spielverordnung verabschiedet wurde, hat Paul Gauselmann für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Gauselmann weist den Vorwurf, sein Geld mit der Sucht kranker Menschen zu verdienen, gegenüber Frontal21 zurück: "Bei uns kann man nur, wenn man ganz wenig Geld hat, sein Hab und Gut verlieren."


"Höchstes Suchtpotential"

Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht zuletzt vom Gesetzgeber verlangt, mehr gegen die Spielsucht zu tun. Doch den Glücksspielstaatsvertrag, der daraufhin 2008 in Kraft trat, kann die Automatenindustrie getrost unbeachtet lassen. Denn sie kommt darin gar nicht vor. Automaten fallen als "Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit" unter die Gewerbeordnung - gelten also insofern nicht als Glücksspiel.

Der Psychologe Professor Gerhard Meyer von der Universität Bremen forscht seit 30 Jahren im Glücksspielbereich. Er hält es für absurd, dass sich ausgerechnet das Spiel an den Automaten so weiter der Kontrolle entziehen kann: "Die Spielform mit dem höchsten Suchtpotential ist praktisch der Gewinner dieses Glücksspielstaatsvertrages."

frontal21.zdf.de