Chris Moneymaker
Der Millionen-Bluff

Warten auf das nächste große Ding: Chris Moneymaker

Leicht gebeugt schlurft Chris Moneymaker durch die Hotellobby, drei Schokoriegel und eine Dose Cola in den Händen. "Ich fühle mich, als ob ich gestern sechs Bier zu viel hatte", ruft er einem Vorbeigehenden zu. "Ich auch", antwortet der und lässt sich auf das nächstbeste Sofa plumpsen. Es war kein guter Tag für Moneymaker gestern im Casino des Monte Carlo Bay Hotel & Resort. Wie so oft in der letzten Zeit. Er habe wieder zu viele "bad beats" kassiert am Spieltisch, sagt er. Er ist früh ausgeschieden im großen Turnier der European Poker Tour. Die Reise vom heimischen Nashville, Tennessee, ins Fürstentum am Mittelmeer war umsonst.

"Noch schlimmer ist es aber, wenn du dich unter die letzten 100 von ehemals 6000 Spielern kämpfst und dann trotzdem leer ausgehst oder nur ein paar läppische Dollar mitnehmen kannst", tröstet er sich schmunzelnd. Mit Zeigefinger und Daumen nestelt er unentwegt an dem Sponsorenlogo seines abwrackreifen T-Shirts herum. In Moneymakers Job ist das Scheitern ein ständiger Begleiter: Poker schafft viele Verlierer auf der ganzen Linie, einige, die etwas Geld verdienen, und wenige, die es damit zu Reichtum bringen.

Mit seinem Sieg in Las Vegas löste er einen Poker-Boom aus

"Ich brauche mal wieder so ein richtig großes Ding", sagt der amerikanische Poker-Profi. Die Geschichte seines ersten und bislang letzten großen Dings hat einen ganzen Geschäftszweig revolutioniert, eine ganze millionenschwere Industrie befeuert. Und dazu dieser Name: Moneymaker - der tatsächlich kein Künstlername ist! Seine Vorfahren sind deutschstämmig und sollen angeblich Gold- und Silbermünzen hergestellt haben. "Würde ich John Smith heißen, wäre ich bestimmt nicht so bekannt geworden."

Dieser Tag im Mai 2003, als Moneymaker berühmt wurde, war eine Zeitenwende in der Pokerwelt. Man spricht von "vor Moneymaker" und "nach Moneymaker" und vom "Moneymaker-Effekt". In Las Vegas beim Hauptereignis der World Series of Poker räumte dieser unscheinbare, etwas füllige und um die Nase ein bisschen blasse Typ auf einen Schlag 2,5 Millionen Dollar ab. Der Coup des damaligen Buchhalters einer kleinen Restaurantkette war die Initialzündung des anhaltenden Pokerbooms, vor allem im Internet. Mit nur 39 Dollar Einsatz hatte Moneymaker sich online qualifiziert. Die Pokerweisheit "one hand can change it all" hat der Dreiunddreißigjährige nachhaltig mit Leben gefüllt.


Die Welle schwappte bis nach Deutschland

"Ich habe es doch vorgemacht", sagt Moneymaker. "Jeder kann es schaffen. Man muss es halt mal versuchen." Das tun sie seit Jahren, jene Glücksritter, die es ihm gleichtun und spielend reich werden wollen. Seine Botschaft zieht immer noch. Über 100.000 Leute zocken auf großen Pokerportalen mitunter gleichzeitig an virtuellen Spieltischen. Die Branche lebt davon, dass so viele den Moneymaker machen wollen. Und das System ist denkbar einfach: Das Geld der vielen kleinen "Fische" landet über kurz oder lang in den Händen und Taschen der "Haie", den professionellen Spielern. Die von Sponsoren alimentierten Zocker bekommen die Reisekosten zu den Turnieren in aller Welt freilich bezahlt, genau wie die Teilnahmegebühren von bis 10.000 Dollar. Sie müssen nicht "scared money", wie es heißt, aufs Spiel setzen wie so viele ihrer Gegner, die in den Kategorien Monatsmiete, Tankfüllung oder Wochenendeinkauf denken, wenn sie Chips im Wert Tausender Dollar zur Tischmitte schieben.

Chris Moneymaker hat in jenem Mai 2003 die Seiten gewechselt, ist vom Fisch zum Hai geworden. Er, der schon als Kind mit anderen um Geld oder Gegenstände Karten gespielt haben soll. Später habe er ab und an mit ein paar Kumpels im Keller die Karten ausgepackt, erzählt er. Irgendwann habe er dann auch angefangen, online zu spielen. Black Jack war eigentlich seine größere Leidenschaft gewesen bis dahin. Das Geld für den Flug nach und das Hotel in Las Vegas hat er sich von seinem Vater und einem Freund geliehen.

Den Buchhalter-Job an den Nagel gehängt

Auch die Art und Weise, wie er, der damalige Amateur mit Kinnbärtchen und dem sich darunter wölbenden Doppelkinn das Turnier gewann, strickte mit an seiner eigenen Legende. Im Duell der letzten beiden im Turnier verbliebenen Spieler legte Moneymaker den ausgebufften Profi Sam Farha mit einem denkwürdigen Bluff herein, als er mit nur einem König als höchster Karte alles auf dieselbige setzte. Seine Gesichtszüge vereisten hinter Cappy und verspiegelter Sonnenbrille, er versuchte, keinen Muskel zu bewegen in diesen bangen Sekunden, wurde wie zu einer Statue seiner selbst. Jede Bewegung mit den Händen oder mit dem Mund, ja, jedes Zucken der Halsschlagader kann bei den Profis verräterisch sein. Für ihn lagen gerade 1,2 Millionen Dollar auf dem Tisch - so groß war der Preisgeldunterschied zwischen Platz eins und zwei. "Ich hatte damals überhaupt keine Angst", sagt Moneymaker und schaut lange auf das Blau des Meeres an der Côte d'Azur. "Entweder es klappt, oder du zahlst drauf. So einfach ist das - im Poker und oft auch sonst im Leben." Der Gegner fiel drauf rein, und Moneymaker war auf der Siegerstraße.

Moneymaker, der im Jahr 2005 seine Autobiographie herausbrachte, wurde nach seinem Coup von einem Fernsehauftritt zum nächsten gereicht. Seine uramerikanische Geschichte, dass jedermann zum Glückskind taugt, berührte nicht nur Zocker. Dass ihn die Leute nun anders als zuvor behandelten, daran gewöhnte er sich mit der Zeit. Seinen Job als Buchhalter behielt er zunächst, erst neun Monate später begann er sein neues Leben als professioneller Pokerspieler. "Eigentlich hat sich mein Leben erst dann um 180 Grad gedreht." Seine erste Ehe zerbrach. Seine Frau sei mit dem neuen Job und den damit verbundenen ständigen Reisen nicht klargekommen. Er habe damals zu ihr gesagt: "Ich will das aber genauso machen. Sorry."

Von wegen reines Glücksspiel

Poker ein reines Glücksspiel? Da reagieren Profispieler wie Moneymaker unwirsch bis amüsiert. Poker sei ein Geschicklichkeitsspiel, Fleißarbeit, aber kein Glücksspiel. Körpersprache, Mimik, Taktik, Kopfrechnen und Detailwissen aus unzähligen Stunden am Pokertisch gelte es in Einklang zu bringen - das ist die hohe Kunst. Die Karten seien doch oft nur Staffage. Es sei zwar Glück, welche der 52 man zugeteilt bekommt. Aber was man daraus mache, das sei Strategie.

"Natürlich ist ein Bluff eine Art Kunst", sagt Moneymaker, der an der Tennessee State University einen Abschluss in Rechnungswesen gemacht hat. "Bluffen ist, deine Gegenüber glauben zu lassen, dass du etwas hast, das du in Wahrheit gar nicht besitzt. Es ist, als ob man eine Geschichte erzählt." Ab und an wird er von Firmen eingeladen, um die Mitarbeiter darin zu unterrichten, was man aus der Körpersprache des Gegenübers ablesen kann. Das könne zum Beispiel bei Verhandlungen helfen. "Aber ich bringe niemandem das Lügen bei. Darum geht es nicht", sagt er. Es geht darum, sensibel Signale zu senden und zu empfangen und sich daraus schnell einen Reim auf die eigene Verhandlungsposition zu machen. Ein Beispiel: Ein Pokerspieler deckt seine Karten auf und sein Blick fällt sofort abschätzend auf seine Spielchips vor ihm - ein Zeichen dafür, dass er eine gute Hand hat.

Alltag mit Cash-Games im Internet

Der Familienvater Moneymaker braucht viele gute Hände am Tag. Der Millionen-Coup und zwei, drei andere Gewinne über 100.000 Dollar sind Ausreißer nach oben. Der Alltag des Profis sieht anders aus. Bis zu acht Stunden am Tag hängt er vor dem heimischen Computer und zockt unter dem Pseudonym "Money800" im Internet Cash-Games - klassische Geldspiele in einer Runde, in der sich ein Spieler einkaufen und auszahlen lassen kann, wann immer er will. 50.000 Dollar macht er damit ungefähr im Jahr.

Doch selbst die großen Turniere in fahl ausgeleuchteten Casinos an Orten wie Paris, Rimini oder Monte Carlo haben rein gar nichts Glamouröses. Die Gegner am Tisch sind gelackte Typen im Anzug, Verschrobene mit fettigen Haaren und Wollpulli, Coole, Lässige, Verhaltensgestörte, Autisten, Schweiger. Die heruntergekühlten Räume sind erfüllt von den Ausdünstungen der Zocker und dem rasselnden Geräusch, das entsteht, wenn mehr als 1000 Spieler ihre Spielchips unablässig durch die Finger gleiten lassen. Starrende Langeweile prägt die Szenerie. Mitunter zwölf Stunden am Stück. Und jede Hand kann Hunderttausende wert sein. "Ich liebe meinen Job", sagt Moneymaker. "Ein Traumjob ist es aber nicht. Wer geht schon zur Arbeit und verliert dabei Geld?"

Quelle: faz.net