Überfälle auf Casinos: Gegenwelt voller Geld

Sonntag, vier Uhr früh: Aus der Dunkelheit stürmen zehn Vermummte, bewaffnet mit Vorschlaghämmern und Maschinenpistolen, auf das Grand Casino in Basel zu. Die gläserne Eingangstür zertrümmern sie mit einem Hammer, alle Anwesenden im Casinosaal – Croupiers, Spieler, Sicherheitspersonal – zwingen sie, sich zwischen Automaten und Roulettetischen auf den Boden zu legen. Wer sich auch nur rührt, wird von „Aufpassern“ mit Tritten traktiert.

Die meisten Räuber sind inzwischen ins Obergeschoß weitergestürmt, versuchen dort, mit Schüssen einen Tresor aufzusprengen. Dieses Vorhaben scheitert, nach wenigen Minuten raffen sie aus den Kassen mehrere hunderttausend Franken zusammen, bevor sie sich durch eine Lücke im Grenzzaun auf die Flucht ins nahe Frankreich machen. „Das sieht schon sehr brutal aus“, wird Staatsanwalt Peter Gill später eingestehen. Die Polizei hat heute, eine Woche nach dem Überfall– zumindest offiziell – keine Spur von den Tätern.


Ein Hauch von Sinatra. Überfälle auf Casinos sind derzeit in Mode, könnte man vermuten. Erst Anfang März hat eine Bande ein Pokerturnier im Berliner Hyatt-Hotel gestürmt und dabei rund 240.000 Euro an Preisgeld erbeutet – inzwischen hat die deutsche Polizei bereits vier Verdächtige gefasst. Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack: „Gelungene“ Überfälle wie dieser könnten Nachahmungtäter inspirieren. Denn der Schluss, dass es in Casinos, in denen regelmäßig große Geldbeträge den Besitzer wechseln, etwas zu holen gibt, liegt nahe – und der Nimbus des Gentlemangauners, der Frank Sinatra und George Clooney in ihren „Ocean's Eleven“-Filmen umweht, mag das Seinige dazutun.

Im Wiener Casino in der Kärntner Straße ist auch in dieser Woche von Anspannung aber nichts zu bemerken. Die Croupiers – vier pro Tisch – wachen entspannt, aber aufmerksam über die halb voll besetzten Roulettetische, an der Bar feiert ein junger Mann im Nadelstreif im Kreise der Familie seinen 18.Geburtstag, im Automatensaal starren etliche ältere Damen konzentriert auf die Displays, deren blaues Leuchten sich in ihren Brillengläsern widerspiegelt.

In der gediegenen Atmosphäre des Wiener Innenstadtpalais Esterhàzy herrscht eine entrückte Stimmung: Der weiche Teppichboden dämpft die Geräuschkulisse, im Hintergrund säuselt Meat Loaf sanfte Popmelodien, die Spieltische sind an den Außenwänden so positioniert, dass die Spieler kaum an die Fenster treten, möglichst wenig Kontakt mit der Außenwelt haben. Wer in ein Casino kommt, betritt ein eigenes Universum, eine Gegenwelt, komplett mit eigenen Hierarchien und Prinzipien, mit eigenen Regeln: Leistung zählt an solchen Orten nichts – hier liegt das Reich von Glück und Pech, in dem der Tellerwäscher dem Millionär gleichgestellt ist: ein Spiel rund um die Spiele, so lautet das Heilsversprechen der Glücksspielanbieter.

Tatsächlich geht es aber auch hier – vor allem – um Geld. In der edlen Form des Jetons gehen hier täglich zehntausende Euro über die Blackjack- und Roulettetische, verschwinden ebenso viele in den Automaten. Ob die Scheine jetzt verschämt an einer der Kassen gewechselt werden oder ob ein asiatischer Gast – gerade das Wiener Casino hat viele davon – achtlos einige Hundert-Euro-Scheine über den grünen Filz auf dem Roulettetisch wirft, der Faktor Geld ist omnipräsent.

Und damit auch die Frage nach der Sicherheit. Nein, nach den Überfällen der vergangenen Woche habe man sie nicht verstärkt, erklärt Martin Himmelbauer, Sprecher des österreichischen Monopolisten. Und zwar, weil die Maßnahmen in den österreichischen Casinos ohnehin streng seien: „Die Steigerung könnte nur mehr lauten: ,Kein Spiel, keine Gäste‘“, sagt Himmelbauer.

Die totale Überwachung. Von dem Zeitpunkt an, in dem ein Spieler ein Casino betritt, wird er praktisch lückenlos überwacht: Dezente Kameras begleiten ihn vom Eingangsbereich zur Kasse und von dort zu den Spieltischen, zeichnen jede Spielaktivität auf. Nicht nur, dass diese Aufnahmen – mit dem Einverständnis der Datenschutzkommission – 30 Tage lang gespeichert werden, die Casinos Austria überwachen die Vorgänge in allen zwölf österreichischen Spielbanken live von ihrer Zentrale in Wien-Landstraße aus – was freilich auch der Betrugsbekämpfung dient.

Darüber hinaus sind regelmäßig zivile Mitarbeiter der „Cast“, der Casinos Austria Sicherheitstechnologie, einer spezialisierten Tochter des Monopolisten, in den Spielsälen unterwegs, um Verdächtige zu beobachten und zu melden. Zuletzt würden die Kassen der Casinos „mit schon fast krankhafter Regelmäßigkeit“ mehrmals pro Tag geleert, sagt Himmelbauer.

Eine Erfahrung, die auch ein Räuber machen musste, der vor zwei Wochen mit einer Pistolenattrappe zur Kasse des Casinos Wien marschierte und 10.000 Euro verlangte – das Personal konnte ihm gerade einmal jene 2700 Euro geben, die gerade vorrätig waren. Wenig später wurde der Mann auf Basis der Überwachungsvideos festgenommen. Diesen Fall eingerechnet wurden in den vergangenen sechs Monaten vier österreichische Spielbanken überfallen. Die Vorgangsweisen könne man aber mit jenen in Berlin und Basel nicht vergleichen, sagt ein Ermittler des Bundeskriminalamtes: „Da können wir nicht einmal von einer im Ansatz professionellen Vorgangsweise sprechen.“

Die Diskussion, die jetzt von der Schweiz ausgehend um die Sicherheit von Spielbanken geführt wird, ähnelt jener um die hohe Zahl der Banküberfälle in Wien vor einigen Jahren: 2007 wurde über rigorosere Sicherheitsmaßnahmen in Banken diskutiert. Die Rede war von Panzerglas, Geldausgabekojen und Sicherheitsschleusen an den Eingängen. Aber damals wie heute sagen Kritiker: Das würde die Kunden abschrecken. Und schließlich geht es beim Spielen auch um – Atmosphäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2010)