Re: Illegales Glücksspiel im Internet boomt [0]
Teil 2
Klärungsbedarf bei Gewinnspielen im Fernsehen
Ein weiteres Thema: Gewinnspiele im Fernsehen "Bei diesem recht neuen Phänomen existieren noch keinerlei gesicherten Zahlen", sagt Prof. Becker. "Offensichtlich ist: Besonders Jugendliche gehen auf die Angebote ein und verlieren viel Geld damit." Problematisch ist, dass es hier erhebliche rechtliche Unklarheiten gibt.
So ist nicht ausreichend geklärt, ob diese nicht auch unter den Glücksspielstaatsvertrag fallen und damit verboten sind. "Die komplexe Materie muss weiter untersucht werden. Eins zeichnete sich in der Diskussion jedoch ab: Auch hier sind Wissenschaft und Politik gefordert", so Prof. Dr. Becker.
Internetbasierte Beratung und Therapie sind sinnvoll
Schwerpunkt des zweiten Tages bildete die Online- und Glücksspielsucht. "Hier haben wir sehr vielversprechende internetbasierte Beratungs- und Therapiemöglichen", meinte Becker. Erste Ergebnisse zeigten, dass diese Angebote, als Ergänzung zu den traditionellen ambulanten und stationären Angeboten und zur Suchtprävention, sehr sinnvoll seien, da hierdurch bereits vergleichsweise frühzeitig problematische Spieler erreicht werden.
Speziell Onlinesucht sei mittlerweile gerade unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen verbreitet und wird, genau wie die Glücksspielsucht, als eine Verhaltenssucht eingeordnet. "Die Glücksspielsuchtforschung steckt im Vergleich zu der Alkohol- und Drogensuchtforschung in den Kinderschuhen. Ein problematisches Konsumverhalten kann vielfältige Formen annehmen, wir wissen jedoch sehr wenig darüber", so fasst Prof. Dr. Becker die Meinung der Experten zusammen.
Kritik am Glückspielstaatsvertrag
Eine kritische Zwischenbilanz zogen die Referenten aus der Sicht des Hilfesystems und der Wissenschaft. Der Glücksspielstaatsvertrag gilt von 2008 für vier Jahre und sieht vor, dass die Länder die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung und Abwehr von Suchtgefahren durch Glücksspiele sicherstellen.
Hier wurde deutlich, dass es in Baden-Württemberg, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, an einer systematische Koordination und Dokumentation der Maßnahmen, die ergriffen werden, um den sozialschädlichen Auswirkungen der Glücksspielsucht zu begegnen, fehlt. Es ist nicht einmal bekannt, wo und wie viel pathologische Glücksspieler in Baden-Württemberg gegenwärtig in Behandlung sind", so Prof. Dr. Becker.
Drängende Aufgabe sei es, hierfür die institutionellen Voraussetzungen zu schaffen. "An der ambulanten Schwerpunktberatungsstelle der EVA in Stuttgart bestehen lange Wartezeiten für therapiewillige pathologische Spieler. Dies deutet auf eine fehlende personelle Ausstattung zur Behandlung pathologischer Spieler hin."
Der Auftrag, die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung und Abwehr der Suchtgefahren durch Glücksspiele sicher zu stellen, wird in den einzelnen Bundesländern ganz unterschiedlich wahrgenommen. Einige Bundesländer, insbesondere in Ostdeutschland, haben keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen, andere Länder, wie Bayern, nehmen diese Aufgabe sehr ernst. "Für Baden-Württemberg wäre eine stärkere Förderung der sozialpsychologischen Forschung wünschenswert", so Prof. Dr. Becker.
Politikvertreter für Monopol und gegen Öffnung Internet
Überraschend einig waren sich auch die Vertreter der politischen Parteien, die an der Podiumsdiskussion an dem zweiten Tag teilnahmen. Alle Teilnehmer an der Podiumsdiskussion stimmten darin überein, dass bei einer Überarbeitung des Glücksspielstaatsvertrags, insbesondere was die Einschränkungen der Werbung betrifft, dem unterschiedlichen Gefährdungspotential der verschiedenen Formen des Glücksspiels besser Rechung zu tragen wäre. Bei der Diskussion waren die CDU, SPD und Die Grünen vertreten, nachdem die Vertreterin der FDP kurzfristig absagen musste.
"Es war ein Geburtsfehler des Glücksspielstaatsvertrags, dass die für Sportwetten geltende Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in dem Sportwettenurteil von 2006, welches zu dem neuen Glücksspielstaatsvertrag geführt hat, undifferenziert für alle Formen des Glücksspiels umgesetzt wurde", rief Prof. Dr. Becker in Erinnerung.
Ebenfalls schnell einig waren sich die teilnehmenden Politiker darin, dass an einem staatlichen Monopol bei Glücksspielen festgehalten werde. Eine Öffnung des Internets wird und soll es nach Ansicht der Politiker nicht geben. Hier kommen die Politiker zu einem anderen Ergebnis als die Experten.
Sorge um Zunahme des Automatenspiels
Nicht nur die Therapeuten, sondern auch die anwesenden Politiker sehen mit erheblichen Sorgen, dass die überwiegende Mehrheit der Klienten in Therapieeinrichtungen diese auf Grund von Problemen mit dem Spielen an Geldspielautomaten aufsucht. Diese Form des Glücksspiels ist nicht im Glücksspielstaatsvertrag geregelt, und wird gewerblich angeboten.
Dieses Problems wollen sich die Politiker annehmen und weisen auf die Anhörung des Finanzausschusses des Baden-Württembergischen Landtags zu dem Thema Glücksspiel am 13. Oktober 2009 hin.
Vorschläge für dauerhafte Forschungsförderung
"Deutlich wurde, dass die Politiker des Landes Baden-Württemberg ihren Auftrag Ernst nehmen, die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung und Abwehr der Suchtgefahren durch Glücksspiele sicher zu stellen", berichtet Prof. Dr. Becker.
Konkret sind dazu in der Podiumsdiskussion zwei Vorschläge gemacht worden. Eine dauerhafte Sicherstellung von Mitteln für diese Forschung soll im Rahmen des Wettmittelfonds, der sich aus den Einnahmen des Landes aus dem Glücksspiel speist, erfolgen. Auch die psychosoziale Begleitforschung solle, entsprechend dem Auftrag des Glücksspielstaatsvertrags, vermehrt gestärkt werden.
Hintergrund: Forschungsstelle Glücksspiel
In der Hohenheimer Forschungsstelle Glücksspiel werden seit Dezember 2004 Spiele und Wetten zum Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Mehrere Institute und Lehrstühle der Universität Hohenheim und anderer Universitäten aus ganz Deutschland sind an der Arbeit der Forschungsstelle beteiligt. Die wissenschaftliche Leitung der Forschungsstelle besteht aus 20 Wissenschaftlern aus Deutschland, in der Regel Professoren, die sich schwerpunktmäßig mit dem Glücksspiel befassen
Damit sind nicht nur alle relevanten Fachgebiete, sondern generell die Forschung im Bereich Glücksspiel in Deutschland abgedeckt. Ganz gleich, ob Wahrscheinlichkeitsrechnung, Ordnungspolitik oder Verbraucherverhalten - Glücksspiele liefern ein wertvolles Modell für viele wissenschaftliche Fragen. Ziel ist es, die weiten Bereiche Spiele und Wetten, Glück und Leidenschaft unter rechtlichen, ökonomischen, mathematischen, sozialen, medizinischen und psychologischen Fragestellungen systematisch wissenschaftlich zu untersuchen.
Florian Klebs, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Hohenheim