Das Kasino hat geöffnet. Aber keiner geht hin
31. Dezember 2009 Las Vegas ist die vielleicht radikalste Stadt der Neuen Welt. Die Hochhauskulisse am berühmten "Strip", der glitzernden Kasinomeile, ist eine bizarre Mischung aus Symbolen alter Kulturen: Das Kasino "Luxor" krönt eine schwarze Pyramide, vor der eine Sphinx sitzt wie ihr jahrtausendealtes Vorbild in Ägypten. Aus dem Hotel-Kasino "Paris" ragt eine Kopie des Eiffelturms empor. Aber all diese Häuser sind keine 20 Jahre alt. Viele wirklich alte Spieltempel aus den fünfziger Jahren wie das berühmte Stardust wurden konsequent dem Erdboden gleichgemacht.
Unternehmergeist und Mut zum Risiko sind in Las Vegas möglicherweise ausgeprägter als anderswo. "Leute in dieser Stadt sind eher willens, mit hohem Risiko einen schnellen Dollar zu machen", sagt der auf Immobilien spezialisierte Versicherungsmanager Richard Lee von der First American Title Company. Er hat den jüngsten Aufstieg und Fall von Las Vegas hautnah miterlebt.
Immer neue Investitionen, immer teurere Projekte
Kasinomogule wie Steve Wynn und Konzerne wie MGM Mirage überboten sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit immer neuen Investitionen und immer teureren Projekten. Selbst die Stadt New York inspirierte ein Kasino. Seitdem das "New York, New York" offen ist, schmücken auch das Chrysler-Hochhaus und das Empire State Building die Skyline von Las Vegas. Innen erinnert sieht es aus wie im New Yorker Stadtviertel Greenwich Village, und das Herz des Kasinos, wo die Glücksspielautomaten und BlackJack-Tische stehen, soll dem Central Park nachempfunden sein. Es fehlt nur eins: eine Replik der New Yorker Börse. Die Wall Street gibt es dort nicht.
Dabei musste Las Vegas in jüngster Zeit oft als Vergleich für die Wall Street herhalten. Als die amerikanischen Börsenkurse nach dem Höhepunkt der Finanzkrise wieder stiegen und Banken das Risiko und ihre Gewinne im Wertpapierhandel steigerten, machte der Begriff vom "Kasino-Kapitalismus" die Runde. Wertpapierhändler wurden gleichgesetzt mit Zockern aus Las Vegas, die mit glasigem Blick Automaten mit ViertelDollar-Münzen füttern und ihr Glück mit dem Druck auf rote Knöpfe versuchen. Anders als an der Wall Street ist in Las Vegas die Lust auf große Wetten aber noch nicht wieder zurückgekehrt.
"Es kommen weniger Besucher nach Las Vegas, und sie geben weniger Geld aus", beobachtet Richard Lee. Im Rekordjahr 2007 waren Hotels noch zu 90 Prozent ausgebucht. Jetzt sind sie wegen der Wirtschaftsflaute nur zu 83 Prozent belegt. Die Kasinobetreiber mussten zudem die Zimmerpreise um ein Viertel senken, um überhaupt Besucher anzulocken. Die Glücksspielumsätze sind 2009 um 12 Prozent geschrumpft.
„Das Geschäft läuft schleppend“
Die Kasinos von Las Vegas sind dabei keinesfalls menschenleer. Die meisten spielen nur nicht mehr. Deshalb gibt es einige Spieltische, hinter denen Kartengeber gelangweilt auf Kunden warten. "Das Geschäft läuft schleppend", heißt es allerorten.
Aber richtiger Kasino-Kapitalismus, das ist in Las Vegas noch etwas ganz anderes, erläutert Richard. Der weißhaarige Manager steht mit offenem Hemd und ärmellosem Pullover am Konferenztisch eines Bürogebäudes im Vorort Henderson. Er deutet auf eine Karte. Auf ihr ist der kilometerlange Las Vegas Boulevard zu erkennen, wie der "Strip" offiziell heißt. An seinen Rändern sind gut dreißig bunte Pfeile aufgeklebt. Sie zeigen bereits begonnene oder geplante Kasinoneubauten. Die gleiche Karte hat Lee auch ein paar Bankern aus New York gezeigt, "die von mir wissen wollten, wo die heißesten Gegenden in Vegas sind". Geldhäuser an der Wall Street, darunter die Deutsche Bank, haben mit Milliardensummen auf das anhaltende Wachstum der Stadt gewettet.
Jetzt muss die Deutsche Bank das Cosmopolitan Casino am Strip in Eigenregie weiterbauen. Der von ihr finanzierte Bauträger konnte die Zinsen für den Kredit über 760 Millionen Dollar nicht mehr zahlen. Die Bank schrieb 500 Millionen Dollar des Darlehens ab.
Auch an anderen überschuldeten Kasinoprojekten war die Deutsche Bank beteiligt: Sie ist Gläubiger des insolventen "Station Casinos" und gehörte zu den Kreditgebern des "Fontainebleau", deren Gründer sich inzwischen zurückgezogen und den Weiterbau gestoppt haben - ein Novum in Las Vegas.
„Es gibt keine Kredite mehr“
Die Rezession hat das Wachstum der Stadt, in der sich die Zahl der Hotelzimmer seit den achtziger Jahren auf 141 000 verdoppelt hat, abrupt gestoppt. "Es gibt keine Kredite mehr, und für die kommenden fünf bis zehn Jahre erwarten wir keine großen neuen Projekte", sagt Jeremy Aguero, der Chef der Marktforschungsgesellschaft Applied Analysis.
Der Aufschwung hatte auch eine Menge Leute nach Las Vegas gelockt, die in den Kasinos und auf dem Bau Arbeit fanden. Das sorgte für eine hohe Nachfrage nach Häusern. Auch hier waren die Banken der Wall Street Wachstumsmotor. Investmentbanken finanzierten Hypotheken für wenig solvente Hausbesitzer, die sich den Hauskauf nur leisten konnten, solange die Preise stiegen und die Zinsen niedrig waren. Als sich das änderte, konnten viele ihre Raten nicht mehr zahlen. Dazu kamen Entlassungen. Las Vegas hat eine überdurchschnittliche Arbeitslosenquote von 13 Prozent und ist jetzt der am härtesten getroffene Häusermarkt in Amerika.
Zu den Leuten, die wegen der guten Aussichten nach Las Vegas gekommen sind, gehört auch Randall Varner. Er folgte seiner deutschen Frau, die auf dem Höhepunkt des Aufschwungs eine Stelle im neuen "Red Rock-Kasino" bekommen hatte. Sie hatte eine Online-Bewerbung geschickt, das reichte damals. Varner hatte zuvor lange für den Filmhersteller Eastman Kodak im Bundesstaat New York gearbeitet. Aber der Konzern geriet in Bedrängnis. "Ich wollte gehen, bevor es zu spät war", erzählt er. Auch er fand rasch eine Stelle in einem Kasino. Er fing 2007 im Sicherheitsbereich bei MGM an und wechselte dann ins Warenlager. Schließlich gehörte er zu den 8000 Mitarbeitern, denen MGM wegen der Krise kündigte.
Varner hatte Glück. Anfang des Jahres, als MGM selber nur knapp der Insolvenz entkommen war, baute MGM noch das neue Vdara-Hotel im Luxuskomplex des City Center. Dort arbeitet er jetzt, zusammen mit 12.000 anderen. Das City Center ist derzeit der einzige Hoffnungsschimmer der Stadt. Beworben hatten sich 175.000 Leute. "Ich fühle mich, als hätte ich eine zweite Chance im Leben bekommen", sagt der 53-Jährige.
Lockangebote für eine neue edle Klientel
Der Glaspalast des City Center soll eine neue edle und kaufkräftige Klientel anziehen, die Kasinos vom Typ "New York, New York" zu kitschig finden. Auch internationale Touristen, die bisher nur 15 Prozent der Besucher von Las Vegas ausmachen, sollen ihr Geld künftig in den teuren Läden lassen. Denn irgendwie müssen 5900 neue Hotelzimmer gefüllt werden. Ob das angesichts der Wirtschaftsflaute klappt, ist die Frage.
Aber die Planer zeigen einen Optimismus, der Las Vegas schon oft geholfen hat. "Es gibt erste Zeichen einer Erholung", sagt Alan Feldman, Kommunikationschef des MGM Mirage. Er rechnet für 2010 wieder mit steigenden Besucherzahlen um fünf bis sieben Prozent. Auch die Ausgaben werden steigen, glaubt er. In den vergangenen Jahren fanden Gäste nämlich viele Wege, Geld zu sparen. "Selbst Leute, die im teuren "Bellagio" wohnen, kaufen sich ein Sechserpack Bier im Supermarkt", sagt Analyst Aguero. Das "Bellagio" ist eines der edelsten Kasino-Adressen der Stadt, in dem eine Kaviar-Vorspeise 205 Dollar kostet.
Las Vegas, die Stadt, die sich gegen alle Klimawidrigkeiten in der Wüste von Nevada behauptet hat, wäre ohne den Optimismus ihrer Bewohner kaum vorstellbar. "Vegas wird aus der Misere herauskommen", meint auch Nick Kallos, Besitzer der Casino Gaming Schools of Nevada, der Nachwuchskräfte für die Spieltische ausbildet. Nach 40 Jahren in der Branche kennt er die Spielernaturen der Stadt. "Wenn Dinge schlecht laufen und die Miete fällig ist, werden Leute mit ihrem letzten Geld noch eine Wette abschließen, wenn sie damit eine Chance auf die Bezahlung ihrer Rechnungen haben", philosophiert Kallos. Auch sein Geschäft hat unter der Flaute gelitten. Wenn Kallos recht behält wird die Lust auf Risiko bald zurückkehren. Und während er davon träumt und spricht, spielt er mit einem Stapel Kasino-Chips. An der Wand hängt ein altes Foto vom "Stardust".
Quelle: fatz.net
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